Zum Hauptinhalt springen

Anthroposophie in der Kritik

Auch Prof. Dr. Tomáš Zdražil stand zur Verfügung zum Gespräch über die aktuelle Berichterstattung

Die Anthroposophie steht zur Zeit heftig unter Beschuss. Wir haben unsere Studierenden eingeladen und uns ausgetauscht.

Die Betroffenheit im voll gefüllten Saal war greifbar. Wofür eigentlich werden wir da in aller Öffentlichkeit abgestraft? "Anthroposophie – gut oder gefährlich?", lautete zum Beispiel der programmatische Titel einer ZDF-Sendung. "Mich hat im Praktikum in der dritten Klasse ein Junge gefragt, sein Onkel sei an Krebs gestorben, ob der da selber dran Schuld gewesen wäre", erzählt eine Studentin. "Sagen Sie doch schlicht und einfach, wie es ist: Nein!", antwortete Dozentin Ulrike Hans. 

Die Gedanken der Anthroposophie, aus dem Zusammenhang gerissen, verkürzt, verballhornt. Die Folgen: schmerzhaft für die angehenden Lehrer*innen, schwierig für Kinder, Eltern, alle. "Müssten wir nicht in drei Sätzen erklären können, worum es zum Beispiel bei den Worten "Karma" oder "Astralleib" geht?" fragt sich da auch Matthias Niedermann von der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland zuständig für Krisenkommunikation. Denn jeder weiß: mehr Raum gibt es kaum im schlagzeilenge-wöhnten Zeitalter. "Warum? Erwarte ich von einem Physiker, dass er mir in drei Sätzen sein Studium der Elementarteilchen erklärt?" macht Pamela Sänger, Juristin der Hochschule, Mut. Erziehungskunst erläutern in drei Sätzen? Das schlagzeilen-trächtige Ergebnis möchte Glauben machen, Rudolf Steiner hätte tatsächlich propagiert, von der Kopfform oder dem Temperament des Kindes auf alles andere schließen zu können.

Der Anthro-Blogger Oliver Rautenberg hatte es auf Twitter vorab angekündigt: #Anthrobeben. Mit schwergewichtigen Playern des öffentlich-rechtlichen Fernsehens waren Reichweiten garantiert. Doch was für einen Journalismus haben wir dort nun Ende November erlebt? "Es werden exemplarisch Aspekte aus Rudolf Steiners Gesamtwerk herausgegriffen, die ohne Kon-textualisierung für Außenstehende unverständlich, sogar abstrus erscheinen müssen", unterstrich Prof. Dr. Thomas Damberger in seinem kurzen Impulsbeitrag. "Man setzt sich nicht ernsthaft mit den Inhalten der Waldorfpädagogik und ihren anthroposophischen Grundlagen auseinander." Die Frage, die dabei immer wieder aufgeworfen wird: Wie wissenschaftlich ist Anthroposophie? "Die Rede von "der Wissenschaft" ist befremdlich. Jeder, der ein wissenschaftliches Studium absolviert hat, sollte wissen, dass es "die Wissenschaft" nicht gibt. Genauer: Wissenschaft, ihre Methodologie und ihre wissenschafts-theoretischen Prämissen sind plural; jede Vereinseitigung von Wissenschaft steht in der Gefahr, in einen Dogmatismus zu münden, der als solcher aber nicht erscheint und daher umso gefährlicher ist, mehr noch: als Ideologie auftritt", betonte Damberger, Professor für Bildungs- und Erziehungswissenschaften.
"Nimmt man den Standpunkt ein, dass alles, was über das materiell Wahrnehmbare und Messbare hinausgeht, unwissenschaftlich sei, dann ist manche Kritik erstmal nachvollziehbar", sagte Dozent Dr. Albrecht Hüttig. "Die Gefahr besteht, dass der eigene Wirklichkeitshorizont absolut gesetzt wird und alles, was sich außerhalb befindet, als inexistent, belanglos oder Phantasma bewertet wird. Mein Bewusstsein als Diktat für andere und umgekehrt?"

Ein Gutachten des Institutes für Verbraucherjournalsimus hatte sich in diesem Frühjahr in einer ausführlichen Untersuchung mit der Frage der Professionalität des gerne als sogenannten Fachmannes zitierten Anthro-Bloggers Oliver Rautenberg beschäftigt und war zu dem Schluss gekommen, dass bei seiner Arbeit kein handwerklich redlicher und damit professioneller Journalismus vorläge. Er selber unterstützt die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP).

Wenn freie Entfaltung auf gefährliche Weltanschauung trifft: Waldorfschulen | ZDF Magazin Royale
https://www.youtube.com/watch?v=MaYdgxXmM4s&t=1s
Anthroposophie - gut oder gefährlich? | ZDF-zoom
https://www.zdf.de/dokumentation/zdfzoom/zdfzoom-anthroposophie-gut-oder-gefaehrlich-100.html

Unser Presse-Tipp: der Podcast "Heute wichtig: Das System Waldorfschule: Anthroposophie auf dem Prüfstand" zeigt, wie kritischer Journalismus funktionieren sollte. Unbequeme Fragen wurden der Pressesprecherin Nele Auschra vom Bund der Waldorfschulen von dem Journalisten des Sterns, Michel Abdollahi, gestellt. Hier wird klar: Es geht nicht darum, Waldorf in Watte zu packen. Kritik ist ein wichtiger Blick von außen, dem wir uns alle gerne stellen. Und stellen müssen.

Die Waldorfschule – zwischen Esoterik und Entfaltung  |  Podcast "Heute wichtig"
https://www.stern.de/politik/heutewichtig/podcast--heute-wichtig---waldorfschule---zwischen-esoterik-und-entfaltung-32957680.html

Zu wenig Anschauung  | taz
https://taz.de/Anthroposophie-in-der-Kritik/!5895562/

Anthroposophie zwischen Esoterik und Schulmedizin | Tagesspiegel
https://www.tagesspiegel.de/gesundheit/zwischen-esoterik-und-schulmedizin-fur-die-einen-sind-wir-esoterische-spinner-und-fur-andere-ganz-schlimme-schulmediziner-8959843.html

In diesem Sinne sind wir sehr gespannt darauf, was das Team des SWR aus dem vielen Material, das sie in diesem Sommer bei uns an der Hochschule zum Thema Bildung gedreht haben, machen wird. Gerne standen wir vertrauensvoll als Interviewpartner zur Verfügung, haben unsere Türen geöffnet. Nix Black Box. 
Und jetzt? "Inside Anthroposophie – Wie viel Waldorf ist gut für mein Kind?" Das uns inzwischen vorliegende Konzept zur Sendung, die Ende Januar in der ARD gesendet werden soll, verheißt nichts Gutes. Auch hier – dieselben altbekannten Urteile über den "sogenannten selbsternannter Hellseher und wohl charismatischer Philosoph namens Rudolf Steiner." 
Man schlussfolgert: "Braucht die Anthroposophie heute nicht endlich mal ein Update?"

Waldorfpädagogik studieren am Puls der Zeit -  jetzt überlegen Studierende, wie sie sich an die Öffentlichkeit wenden können. Um einmal selber direkt zu erzählen, was es denn auf sich hat mit der "Erziehungskunst".