Öffentliche Ringvorlesung: "Sprechend lebt der Mensch den Geist"
Wir ringen um Worte, wir tasten uns wortwörtlich heran – die Sprache korrespondiert mit ihrer Heimat, dem Körper. Schon Wilhelm von Humboldt erforschte die Zusammenhänge zwischen Denken und Sprechen, zwischen Sprache und Kultur. Ulrike Hans, Dozentin für Sprachgestaltung an der Freien Hochschule Stuttgart, ging der Bedeutung des menschlichen Sprechens im dritten Teil unserer Ringvorlesung "Sprache im digitalen Zeitalter" fundiert und komprimiert auf den Grund. Sprache muss immer neu erschaffen werden – "über die Gebärde der Sprache wirkt Geistiges unmittelbar auf die Seele und das darin lebende Ich", führte Hans aus. Ein Kind lebt sich mit dem Spracherwerb in die Wirkung der Laute ein, ein Prozess, der Auswirkungen auf den gesamten Leib hat. Längst hat die Forschung herausgefunden, dass der Mensch die Äußerungen eines Gegenübers innerlich leiblich nachvollzieht. So scheiterten letztlich alle Versuche, Sprachförderungen bei Kindern digital betreiben zu wollen. Der Mensch braucht ein reales Gegenüber. Hans unterschied eine rhetorische Oberflächen- und Tiefenstrukur: neben der reinen Optik und Akustik durchdringt der Mensch mit Logos, Pathos und Ethos das Gehörte. Empathie und Verantwortung können sich so entwickeln. Sprache bewirkt Individualität und Freiheit.
Der Mensch und seine Sprache – sie sind untrennbar miteinander verbunden, zeigte Ulrike Hans auf. Was passiert also in Zeiten künstlicher Intelligenz? Wie kann sich Sprache neu erschaffen, wenn sie zurück geworfen wird auf ihre reine Oberflächenstruktur? Roboter mit menschlicher Physiognomie, menschlicher Sprache und sogar dazu passendem nonverbalen Gebaren werden konstruiert, um das echte menschliche Gegenüber in Denken, Fühlen und Wollen zu beeinflussen. Sie sollen zunehmend reale Bezugspersonen in Kindergärten oder Altenheimen ersetzen. "Es ist die größte Selbsttäuschung der Menschheit", sagte Hans. "Nichts Neues kann so mehr entstehen, der programmierte Roboter hat feste Denkrahmen, handelt nach festgelegten Standards." Das Ergebnis wäre die Weltherrschaft der hohlen Phrase.
"Der Mensch ist so gut erforscht, dass man sehr genau weiß, wie man mit ihm umgehen kann. Dieses Wissen kommt aber nicht in der Bildung an sondern wird für künstliche Intelligenz benutzt", machte Hans deutlich.
Sprachunterricht für die Kinder von heute: Er muss die menschliche Kreativität herausfordern, diese Schlussfolgerung liegt auf der Hand. Die wahre Lust am Fabulieren – "Wenn wir Sprache als Kunst gestalten, dann tasten wir uns in unsere Seelentiefen", betonte die Sprachgestalterin. Dabei hat sie eine Lieblingsvision: "Unser Anspruch an den Wahrheitsgehalt von Sprache muss so sehr steigen, dass wir ihren künstlichen Ersatz gar nicht mehr wollen".